Der deutsche Philosoph Martin Heidegger (1889-1976) hat in den 40er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts eine weit über die philosophische Welt hinaus bekannt gewordene Kritik des modernen technischen Zeitalters entworfen, die etliche Elemente gegenwärtiger wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Diskussionen vorweggenommen hat. Insbesondere hat er das Gefahrenpotenzial der modernen Technik in seinen Tiefendimensionen bedacht. Dazu gehört die Möglichkeit, dass die Technik der Moderne im Gegensatz zu früheren Zeitaltern in besonderer Weise nicht mehr nur Mittel für menschliche Zwecke ist, sondern der Mensch selbst zum Mittel oder „Bestand“ einer technischen Welt geworden ist. Die Angst vor einem damit einhergehende Kontrollverlust ist sicherlich ein zentrales Motiv heutiger Wirtschafts- und Gesellschaftskritik wie sie sich beispielsweise in der Klima- und anderen Umweltbewegungen äußert.
Heidegger gehört zu den wirkmächtigsten, aber auch umstrittensten Philosophen des 20. Jahrhunderts.
Sein Denken wird mit den philosophischen Strömungen der Phänomenologie und des Existenzialismus in Verbindung gebracht, auch wenn er selbst kein unmittelbarer Vertreter derselben gewesen ist, noch als ein solcher betrachtet werden wollte. Sein Werk beeinflusste und beeinflusst nicht nur die Philosophie, sondern entfaltete auch erhebliche Wirkungen auf andere Disziplinen wie Theologie, Psychologie (Psychotherapie) oder Erkenntnistheorie.
Umstritten ist Heidegger wegen seiner zumindest anfänglichen Sympathie für den Nationalsozialismus und seinen im Jahre 2014 postum veröffentlichen Denk-Tagebüchern („Schwarze Hefte“), die teilweise mit antisemitischen Vorurteilen in Verbindung gebracht werden. Inwieweit Heideggers Werk dadurch disqualifiziert ist, ist Gegenstand fortlaufender philosophischer Untersuchungen und Diskussionen. Abgesehen von den Kritikern, die Heideggers Philosophie-Ansatz unabhängig von NS-Bezügen grundsätzlich ablehnen, bleibt unbestritten, dass seine Technik-Kritik zusammen mit seinem Hauptwerk „Sein und Zeit“ (1927) zu den großen philosophischen Leistungen des 20. Jahrhunderts gezählt werden können [1] [2].
Die zentrale Fragestellung Heideggers ist die nach dem Sein als solches (Fundamentalontologie). Sein Denkweg lässt sich in zwei zeitliche Abschnitte unterteilen. Im ersten, das mit „Sein und Zeit“ abschließt, nähert er sich dem Sein, indem er die menschliche Existenz, das „Dasein“ auf sein Sein hin „befragt“. Im zweiten Abschnitt seines Philosophierens ändert er seine Herangehensweise und rückt das Fragen selbst in den Mittelpunkt des Denkens. Das Sein als Abstraktum kann zwar nicht direkt gedacht und bestimmt werden, aber es entfaltet sich gewissermaßen als Wahrheit in den zu den Fragen gehörenden Gedankengängen und letztlich in der Sprache selbst.
Diesem zweiten Abschnitt ist auch Heideggers Kritik der modernen Technik zuzuordnen, deren zentraler Text „Die Frage nach der Technik“ (1955) Gegenstand und Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist [3]. Zunächst werden wir seine Gedanken zum Wesen der Technik nachvollziehen, um von diesen ausgehend mögliche Bezüge zum Wesen der Wirtschaft zu skizzieren, die dann in weiter folgenden Blog-Beiträgen ausgeführt werden sollen.
Das Wesen der Technik
Heidegger geht es letztlich immer darum, das Sein selbst zu denken. Da das Wesen von etwas, also „jenes, was etwas ist“, in seinem Sein gründet, ist die Frage nach dem Wesen der Technik gleichzeitig die Frage nach deren Beziehung zum Sein [4]. (S. 5) Kann die Beziehung zum Sein und damit das Sein selbst aufgedeckt werden, „ereignet sich das Wahre.“ (S. 7) Es wird sich herausstellen, dass das Wesen der Technik einer Art und Weise entspricht, mit der das Wahre zum Vorschein kommt.
Nach Heidegger muss die Antwort auf die Frage nach dem Wesen, also danach, was etwas ist, weit hinter das rein Gegenständliche von etwas schauen lassen. Er kritisiert grundsätzlich die abendländische Philosophie seit Platon dafür, das Sein am Gegenständlichen festgemacht zu haben und darum den Blick auf das eigentliche Sein verstellt zu haben. Die Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Technik kann deshalb keine Idee von Technik sein, etwa im Sinne greifbarer gemeinsamer Eigenschaften, die man an allen Dingen und Strukturen feststellt, die als Technik bezeichnet werden. Er drückt dies im vorliegenden Text folgendermaßen aus: „So ist denn auch das Wesen der Technik ganz und gar nichts Technisches.“ (S. 5) Das Technische sind beispielsweise konkrete Apparaturen oder die Tätigkeiten der Ingenieure. Die reine Fixierung auf die Untersuchung dieser Dinge oder auch die Untersuchung des Gemeinsamen dieser Dinge würde lediglich dazu führen, dass das Denken dem Gegenständlichen, dem „Anwesenden“, verhaftet bleibt, und somit das Wesen der Technik zielsicher verfehlt.
Wie können wir aber stattdessen das Wesen der Technik erfassen?
Ein Grundproblem menschlicher Erkenntnis ist die Differenz zwischen Subjekt und Objekt, das bedeutet zwischen denkendem Bewusstsein und seinem Gegenstand. Eine in unserer Kultur „natürliche“ Weise das Wesen der Technik zu erfassen wäre es, diese als Objekte unseres Bewusstseins, also als etwas Anwesendes aufzufassen und zu beschreiben, z.B. das Aussehen, die Größe, Funktionsweise usw. von Apparaturen. Damit kann das Wesen aber noch nicht vollständig verstanden sein, weil ein Objekt nur Objekt werden kann, wenn es vom menschlichen Bewusstsein zu einem solchen gemacht wird, was seinerseits nur dann geschieht, wenn sich das Objekt, hier die Technik, in einem menschlichen Sinnzusammenhang befindet (aus irgendeinem Grunde muss sich irgendjemand für die Frage nach der Technik interessieren). Somit gehört das menschliche Bewusstsein selbst zu jeglichem Verständnis von Technik und muss mit bedacht werden. Wenn aber das Bewusstsein als Subjekt über das Bewusstsein als Objekt nachdenkt, kann das Bewusstsein als Ganzes nicht erfasst werden, da das Subjekt selbst nicht Objekt sein kann und damit gewissermaßen in der Betrachtung immer fehlt. Denn sobald sich das Subjekt zum Objekt machen will, erzeugt es ein „neues“ Subjekt, für das das „alte“ Subjekt zum Objekt geworden ist. Das Subjekt verschwindet nicht. Diese grundlegende Subjekt-Objekt-Struktur lässt sich nicht einfach auflösen, zumindest nicht in der unserer westlichen Kultur eigenen Herangehensweise des physischen Betrachtens, Beschreibens, Vermessens usw.
Heidegger begegnet dieser Problematik, indem er die Sprache in das Zentrum des Denkens rückt. Die Sprache selbst enthüllt die Wahrheit und damit auch das Wesen von etwas. In der Rede über etwas, in den zugehörigen Worten und deren Bedeutungen kommt die Wahrheit zum Vorschein. Diese Vorgehensweise führt zu einer teilweise eigentümlichen Sprache, deren Vorzug aber darin gesehen werden kann, sich mit ihrer Hilfe aus dem Verhaftet-Sein im üblichen Subjekt-Objekt-Schema lösen zu können.
Heidegger beginnt seine Suche nach dem Wesen der Technik, indem er danach fragt, „was“ die Technik ist. Als erstes setzt er an den hergebrachten Bestimmungen der Technik an: „Technik ist ein Mittel für Zwecke“ und „Technik ist menschliches Tun“, sie ist ein „instrumentum“. (S. 6) Von diesem Ausgangspunkt geht sein Fragen weiter: „ was ist das Instrumentale selbst? Wohin gehört dergleichen wie ein Mittel und ein Zweck?“ Seine Antwort: „…, wo das Instrumentale herrscht, da waltet Ursächlichkeit, Kausalität.“ (S. 7) Sein Fragen geht also in dem Sinne immer tiefer, als dass er bei gefundenen Antworten nicht stehen bleibt, sondern weiter fragt, wohin das Gefundene gehört, von woher es sein Wesen hat.
Worin mündet nun die Suche nach dem Wesen der Technik? Wir überspringen weitere Zwischenstationen und betrachten direkt das vorläufige Ergebnis der Suche:
Das Wesen der Technik entspricht einer Weise des „Entbergens“. (S. 12)
Was ist Entbergen? Heidegger benutzt für seine denkerischen Annäherungen an das, was ist, oft altertümlich anmutende, aber sehr anschauliche Wortgebilde. Mit ihnen soll dem Gedachten möglichst unmittelbar entsprochen werden, so dass es sich dem Denken weitgehend unverstellt zeigen kann. Gleichzeitig erzeugt er mit ihrer Verwendung einen weit über die alltägliche Verständnisebene des jeweiligen Wortes hinausgehenden Bedeutungskomplex.
Die Technik ist ein Entbergen, weil sie entbirgt, was ist, d.h. aus Sicht Heideggers letztlich die Wahrheit. Im Entbergen „kommt“ das „Verborgene“ ins „Unverborgene“. Die Technik entbirgt das Technische, z.B. einen Holztisch. Im Tisch zeigt sich die zunächst verborgene Kunst des Handwerkers, seine Vorstellungen von Aussehen und Funktionsweise, aber auch das Holz des Baumes usw. Das Spezielle am Entbergen der Technik ist, dass es nicht von selbst geschieht wie etwa der Aufgang der Sonne, sondern dass es „veranlasst“ wird. Entsprechend ist die Technik eine besondere Weise des Entbergens im Sinne eines „Her-vor-bringens“ des Verborgenen in das Unverborgene. (S. 11)
Allerdings ist damit noch nicht vollständig das Wesen der Technik erfasst. Heidegger geht es vor allem auch um das Bedenken des Beunruhigenden, das von der modernen Technik ausgeht. Die Herstellung eines maßgeschneiderten Holztisches durch einen dem Kunden bekannten Handwerker vom rohen Holz bis zum fertigen Tisch ist womöglich etwas anderes als die anonymisierte industrielle Herstellung genormter Möbelstücke am Laufband einer Fabrik.
Das Wesen der modernen Technik
Auch die moderne Technik ist eine Weise des Entbergens, jedoch nicht im Sinne eines eher handwerklich anmutenden Hervorbringens, sondern im Sinne eines Anspruch stellenden „Herausforderns“. Die moderne Technik fordert die Natur heraus, indem sie sie „stellt“. (S. 14) Heidegger nennt ein einprägsames Beispiel: Der „Rheinstrom“ wird „gestellt“, um die Energie der Wasserkraft durch ein Kraftwerk herauszufordern. Dadurch wird der Fluss etwas „Bestelltes“. (S. 15) Er wird zum „Bestand“. (S. 16)
Mit Bestand ist jedoch kein statisches Vorhandensein gemeint, sondern das Eingebettet-Sein in eine Dynamik des weiteren Bestellt-Seins. Denn so wie der Strom für das Wasserkraftwerk bestellt ist, ist dieses seinerseits bestellt, Strom zu liefern, der wiederum dazu bestellt ist, Maschinen anzutreiben usw.
Das Wesen des Rheinstromes ändert sich dadurch dramatisch gegenüber unserer alltäglichen Auffassung: „Das Wasserkraftwerk ist nicht in den Rheinstrom gebaut … . Vielmehr ist der Strom in das Kraftwerk verbaut.“ (S. 15) Das Wesen der Natur bestimmt sich also nicht etwa aus sich selbst, sondern von ihrer technischen Verwendung her.
Aber nicht nur die Natur und das daraus geschaffene Technische sind Bestand, auch das Stakkato des Bestellt-Seins selbst sowie dessen Struktur gehören wesentlich zum Bestand. Die „Steuerung“ der Dynamik des Bestands-Komplexes ist sogar zentrales Merkmal des „herausfordernden Entbergens“. (S. 16)
An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, welche Rolle der Mensch in diesem Gefüge einnimmt. Damit nähern wir uns Heideggers abschließender Antwort auf die Frage nach dem Wesen der modernen Technik.
Der Mensch ist Teil des Gefüges, zum einen, weil er teilweise selbst zum Bestand geworden ist, wie z.B. als „Patientenbestand“ einer Klinik, zum anderen, weil er am Entbergen aktiv teilnimmt. Die aktive Beteiligung unterscheidet ihn von der passiven Rolle der Natur oder der technischen Gegenstände. Zugleich ist er aber nicht der Herr des Entbergens, von dem das technische Entbergen nur eine besondere Weise ist.
Das Entbergungs-Geschehen ist ein weltgeschichtlicher Vorgang, es ist ein Schicksal des Menschen. Heidegger nennt es „Geschick“. (S. 24) Der Mensch wird auf den Weg des Entbergens der Wahrheit geschickt, und zwar von der Wahrheit („Unverborgenheit“) selbst. Der Mensch hat keine direkte Kontrolle über das Geschick, er kann sich lediglich zu ihm verhalten. Im ungünstigsten Fall verhält er sich blind, indem er nur auf das Anwesende, z.B. das Technische, starrt und sich von ihm vollständig vereinnahmen lässt. Im günstigsten Fall bedenkt er das Geschehen und versucht es zu verstehen. Dadurch kann er ein freies Verhältnis zu ihm aufbauen.
Das Wort, mit dem Heidegger schlussendlich versucht, das Wesen der Technik zu erfassen, ist das „Ge-stell“. (S. 19) Das Wesen der modernen Technik zeigt sich im Ge-stell. Der Bedeutungskomplex des Wortes umfasst alle Elemente der bisherigen Überlegungen: Es ist ein schicksalhafter „Anspruch“ an den Menschen, die Natur herauszufordern, indem sie gestellt wird. Durch das Stellen wird sie als Bestand sichtbar (entborgen). Als Weise des Entbergens ist das Ge-stell Teil eines weltgeschichtlichen Geschehens, das von der Wahrheit selbst ausgeht.
Nachdem das Wesen der modernen Technik herausgearbeitet wurde, beschäftigt sich Heidegger näher mit ihren Gefahren und wie sich der Mensch zu ihnen verhalten könnte. Auf diese Aspekte werden wir in folgenden Blog-Beiträgen eingehen, wenn wir auf das Wesen und die Gefahren der modernen Wirtschaft blicken.
Kritik
Sprache
Es ist sicherlich nicht einfach, zu Heideggers Ausdrucksweise immer einen gebührenden Abstand zu halten. Wer einmal den Zugang zu seiner Sprache gefunden hat und ihr zu unkritisch folgt, kann leicht ihrer Anziehungskraft erliegen. Die Lektüre wird dann eher zu einer Art Kontemplation, denn zu einer fruchtbringenden Auseinandersetzung mit der modernen Technik.
Entsprechend scheiden sich an der eigentümlichen Sprache des Philosophen die Geister. Die einen halten sie für einen genialen Zugang zur Ontologie, die anderen für den Versuch, relativ einfachen Sachverhalten eine überhöhte Bedeutung zu geben.
Allerdings verkennt diese Kritik das Anliegen Heideggers, das oben beschriebene Subjekt-Objekt-Schema zu überwinden und wesentlicher zu blicken als es eine vorläufige, wenn auch richtige, Feststellungen zulassen würde. Und es ist auch klar, dass dieses Wesentlicher-Blicken nicht bedeuten kann, so etwas wie eine Meta-Feststellung zu treffen, die dann ihrerseits auch wieder vorläufig sein muss. Damit bliebe das Denken nämlich letztlich im Subjekt-Objekt-Schema, was sicherlich in vielen Bereichen, z.B. in den Naturwissenschaften, seine Berechtigung hat, aber eben nicht dem Anspruch eines Philosophen genügen kann, der das Sein an sich bedenken möchte.
Eine andere Frage ist es, ob es überhaupt in modernen Zeiten Sinn ergibt, über das Sein an sich zu philosophieren, oder ob sich die Philosophie nicht mit tatsächlich oder vermeintlich Wichtigerem, z.B. konkreten ethischen Fragen, beschäftigen sollte. Auf diese Problematik wird noch einzugehen sein, wenn der Bezug von Heideggers Technik-Kritik zum Wesen der Wirtschaft hergestellt wird.
Unbestimmtheiten
Wer die Rolle des Menschen in der modernen Technik tiefer ergründen möchte und dabei auf Heideggers Text zurückgreift, könnte Anstoß an dem Gedanken des Geschicks nehmen. Die moderne Technik bemächtigt sich in schicksalhafter Weise des Menschen, d.h. er ist dieser ausgeliefert, ob er dies möchte oder nicht. Deshalb sollte er sein Verhältnis zu ihr zu bedenken. Inwieweit über das Bedenken hinaus dem Menschen eine Verantwortung erwächst, bleibt im Unbestimmten, da der Philosoph diesen Zusammenhang nicht weiter ausführt. Zwar beschreibt Heidegger ausführlich das Verhältnis zwischen Geschick und Ge-stell, aber nicht von woher das Geschick selbst und somit eine mögliche Verantwortung bestimmt wird.
Eine weitere Unbestimmtheit ergibt sich aus Heideggers Wortherkunfts-Kaskaden, die schließlich in einen Wortkomplex bestehend aus Entbergen, Herausfordern, Stellen, Bestand, Ge-stell und Geschick münden.
Um das Wesen der Technik zu ergründen, beginnt Heidegger mit der alltäglichen Bestimmung der Technik als einem Instrument des Menschen, um sodann zu fragen, wo denn das Instrumentale hingehöre. Seine Antwort: Zur Kausalität. Seine Antwort auf die Frage nach der Herkunft der Kausalität entnimmt er der Bedeutung des entsprechenden altgriechischen Wortes, die er mit „das, was ein anderes verschuldet“ bestimmt. (S. 8) Somit hat Technik etwas damit zu tun, dass beispielsweise ein Tischler den von ihm gefertigten Holztisch „verschuldet“. Nach Heidegger hat das altgriechische Verschulden wenig mit moralischer „Verfehlung“ oder einer Art des „Wirkens“ zu tun, sondern mit dem „Vor- und Bereitliegen“ des Tisches. Und dieses Vor- und Bereitliegen, so Heidegger, kennzeichne „das Anwesen eines Anwesenden“. (S. 10)
Es wird ersichtlich, dass diese Wortherkunfts-Kaskaden umso weniger zwingend werden, je weiter sie sich von der anfänglichen Definition von Technik wegbewegen. Warum kennzeichnet das „Vor- und Bereitliegen“ notwendig das „Anwesen des Anwesenden“, warum nicht beispielsweise das Anwesen des Nützlichen oder des zu Gebrauchenden? Jedenfalls unterlässt es der Philosoph in diesem Sinne mögliche alternative Deutungen zu diskutieren, die sein letztlich identifiziertes Wesen der Technik noch überzeugender erscheinen lassen würden.
Mögliche Bezüge zum Wesen der Wirtschaft
Heideggers Technik-Kritik ist nun so weit umrissen, dass ausgehend von seinen Ausführungen Bezüge zum Wesen der Wirtschaft hergestellt werden können.
Denkt man über die Wirtschaft nach, fällt sofort auf, dass Begriffe wie Herausfordern, Stellen oder Bestand ebenfalls zu ihren Wesensmerkmalen gehören könnten. Auch in der Wirtschaft wird etwas entborgen, nämlich die mit Hilfe des Technischen hergestellten Waren und Dienstleistungen, die entweder zum Endverbrauch bestellt sind oder zum Gebrauch im weiteren Produktionsprozess. Einerseits benutzt die Wirtschaft das Technische, andererseits erwachsen aus technischen Neuerungen weitere Möglichkeiten für die Wirtschaft. Ebenso wie in der Technik ist in der Wirtschaft der Mensch selbst Bestand einer Dynamik, über die er scheinbar oder tatsächlich längst die Kontrolle verloren hat und die einen gefährlichen Schatten vorauswirft.
Folgende Fragenkomplexe ergeben sich daraus für weitere Blog-Beiträge:
Was sind die gemeinsamen Wesensmerkmale von Wirtschaft und Technik? Gehört die Wirtschaft zur Technik, oder die Technik zur Wirtschaft? Oder stehen sie auf gleicher Stufe und beeinflussen sich gegenseitig? Gibt es ein übergeordnetes Wesenselement? Welche Gefahren gehören zur Wirtschaft, welche zur Technik, welche zu beiden und wie kann man ihnen begegnen?
Man mag zu Heideggers eigentümlichen Philosophie-Ansatz stehen wie man will, fruchtbar ist er auf jeden Fall.
[1] Einen umfassenden Überblick zu Heideggers Philosophie, Wirkung und seiner NS-Verstrickung geben z.B.
Jahraus, O. (2004). Martin Heidegger – Eine Einführung. Stuttgart: Reclam.
Safranski, R. (2001). Ein Meister aus Deutschland – Heidegger und seine Zeit. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.
Wheeler, M. (2018). Martin Heidegger. The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2018 Edition). Edward N. Zalta (ed.). Abgerufen am 1. Dezember 2019 von https://plato.stanford.edu/archives/win2018/entries/heidegger/
[2] Eine Bewertung der „Schwarzen Hefte“ findet sich z.B. in folgendem Interview mit Rüdiger Safranski:
Neue Osnabrücker Zeitung. (8. April 2014). Safranski: Heidegger verdrängte Unrecht – „Unglaublicher Mangel an Empathie“. Abgerufen am 1. Dezember 2019 https://www.noz.de/deutschland-welt/kultur/artikel/465839/unglaublicher-mangel-an-empathie
[3] Heidegger, M. (2007). Die Frage nach der Technik. Die Technik und die Kehre (11. Auflage). Stuttgart: Klett-Cotta.
[4] Zitate aus Heideggers Text „Die Frage nach der Technik“ sind kursiv gedruckt.