Ergebnisse des EU-Gipfels vom Dezember 2018 und weitere politische Vorhaben
Auf ihrem Gipfel am 14. Dezember 2018 haben sich die EU-Staats- und Regierungschefs auf einen weiteren Ausbau des Euro-Rettungsschirms ESM geeinigt (ESM = European Stability Mechanism). Dieser ist bisher mit einer Kreditvergabekapazität von 500 Mrd. € ausgestattet und unterstützt gegen wirtschaftspolitische Auflagen hoch verschuldete Staaten wie Griechenland oder Portugal.
Künftig soll der ESM zusätzlich eine so genannte Letztsicherungs-Funktion (Backstop) bei Bankenpleiten übernehmen: Reicht der europäische Bankenabwicklungsfonds SFR mit seiner Kapazität nicht aus (derzeit rund 61 Mrd. Euro), um Bankenkrisen abzuwenden, könnte der ESM zusätzlich mit dem gleichen Volumen unterstützen. Der Bankenabwicklungsfonds wird von den Banken selbst gespeist, wohingegen der ESM aus Steuermitteln finanziert wird [1].
Weiterhin soll der ESM größere Kompetenzen bei der Beurteilung und Überwachung der finanziellen und ökonomischen Entwicklung von Krisenländer erhalten, da sich der Internationale Währungsfonds (IWF) wahrscheinlich aus den europäischen Hilfsprogrammen vollständig zurückziehen wird [1].
Des Weiteren wird der ESM bei Bedarf einen Schuldenschnitt zwischen den Haltern von Staatsanleihen (Gläubigern) und einem verschuldeten Land aushandeln und organisieren können [1].
Und schließlich soll der Euro-Rettungsschirm bereits im Vorfeld einer möglichen Finanzkrise einem Staat ohne Auflagen Kredite gewähren können. Allerdings nur dann, wenn grundsätzlich gesunde Staatsfinanzen vorliegen. Damit soll verhindert werden, dass ein Land nur aufgrund unverschuldeter Finanzmarktturbulenzen in finanzielle Nöte gerät [1].
Weniger Einigkeit gab es bei dem weiteren Ausbau einer EU-Bankenunion.
Die wichtigste Neuerung ist, dass Banken künftig 8 % ihrer Bilanzsumme als so gennanntes Bail-In-Kapital vorhalten müssen. Das ist Kapital, das im Falle eines Bankrotts unmittelbar für Abwicklungszwecke herangezogen werden kann [1].
Keinen Fortschritt gab es bei der geplanten gemeinsamen Europäischen Einlagenversicherung EDIS (European Deposit Insurance Scheme). Die deutsche Regierung weigert sich über einen Fahrplan zur Umsetzung des Vorhabens zu sprechen, so lange die italienische Regierung nicht bereit ist, den Banken Grenzen beim Halten heimischer Staatsanleihen aufzuerlegen [1].
Der hohe Anteil heimischer Staatsanleihen im Bankensektor vieler Eurostaaten war ein wesentlicher Grund für die Verschärfung der Eurokrise in den Jahren 2010 bis 2012. Gerät ein Staat in Zahlungsschwierigkeiten, verlieren seine Staatsanleihen an Wert. Hält sein Bankensystem ein großes Volumen dieser Wertpapiere gerät es somit auch in Schwierigkeiten und muss unter Umständen von seinem Heimatstaat, der selbst in finanziellen Nöten steckt, gestützt werden. Letzteres kann wiederum den Wert der Staatsanleihen negativ beeinträchtigen. Ein Teufelskreislauf wechselseitiger negativer Rückwirkungen zwischen Banken und Staat entsteht.
Ebenfalls umstritten bleibt die Idee des französischen Präsidenten Macron, ein Eurozonen-Budget einzurichten. Widerstand gegen diese Pläne kam vor allem von der so genannten „Hanseatischen Liga“, einem Zusammenschluss von elf nördlichen EU-Staaten (Belgien, Dänemark, Finnland, Irland, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schweden, sowie die drei baltischen Staaten) [2] [3].
Die Staats- und Regierungschefs beauftragten ihre Finanzminister, bis Mitte 2019 eine gegenüber den ursprünglichen Plänen Macrons stark abgeschwächte Form eines Eurozonen-Budgets auszuarbeiten. Es soll weder einen Euro-Finanzminister noch ein umfangreiches extra Budget geben, sondern es soll lediglich innerhalb des regulären EU-Budgets angesiedelt sein, in das die Mitgliedsstaaten ohnehin ca. 1 % ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung einzahlen. Laut Bundeskanzlerin Angela Merkel sei Zweck des Haushaltes „die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und die Konvergenz zwischen den Mitgliedsstaaten zu fördern“ [3].
Noch keine Rolle auf dem EU-Gipfel spielte eine von Bundesfinanzminister Olaf Scholz zusammen mit seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire ins Gespräch gebrachte europäische Arbeitslosenversicherung.
Die Pläne sehen den Aufbau eines Rückversicherungsfonds für die nationalen Arbeitslosenversicherungen vor. In diesen sollen die Staaten regelmäßig einen bestimmten Prozentsatz ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung einzahlen. Allerdings gibt es noch keine Festlegung bezüglich der Höhe des Beitrages. Einen Hinweis auf eine mögliche Größenordnung könnte eine Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) geben, in der ein solcher Vorschlag für die EU bereits ausgearbeitet wurde und die einen Beitrag von 0,35 % des BIP beinhaltet. Für Deutschland ergebe sich dadurch ein jährlicher Beitrag von ca. 11 Mrd. Euro [4].
In Krisenzeiten soll der Fonds Länder mit steigender Arbeitslosigkeit finanziell unterstützen und dadurch verhindern, dass diese aufgrund steigender Sozialausgaben unter zusätzlichen finanziellen Druck geraten. Allerdings sollen die Leistungen nur als Kredite gewährt und innerhalb von fünf Jahren zurückbezahlt werden.
Bewertung der Beschlüsse und Vorschläge
Generell sind in einer freien Marktwirtschaft alle Maßnahmen positiv zu beurteilen, die sicherstellen, dass die handelnden Akteure für ihre Entscheidungen selbst haften, d.h. das Prinzip der „Einheit von Haftung und Kontrolle“ muss gewährleistet sein. Dadurch entstehen die nötigen Anreize für risikobewusstes und effizientes Wirtschaften.
In diesem Sinne unterstützen die verbesserten Möglichkeiten eines Schuldenschnitts bei Staatspleiten und die Pflicht zum Aufbau von Bail-In-Kapital für Banken riskoadäquates Verhalten von Politikern und Bankmanagern sowie deren Gläubigern. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Konsequenzen schlechten Managements auf die Steuerzahler abgewälzt werden, wird gesenkt.
Überdies sollte das Prinzip der Einheit von Haftung und Kontrolle auch für die politischen Akteure in einer Demokratie gelten. Ein Politiker muss sich gegenüber dem Wahlvolk für seine Entscheidungen verantworten. Dadurch entstehen die nötigen Anreize, die Interessen der Bürger zu berücksichtigen. Allerdings setzt dies voraus, dass die von den Entscheidungen betroffenen Wähler auch die Möglichkeit haben, die verantwortlichen Politiker abzuwählen.
Letzteres ist im Euroraum leider nicht immer gewährleistet. Beispielweise haftet ein französischer Wähler und Steuerzahler indirekt über den ESM für politische Entscheidungen in Portugal und anderen Krisenstaaten, ohne dass er über deren Politik abstimmen könnte. Zwar kann der ESM, auf den die französische Politik und damit der französische Wähler Einfluss haben, seine Hilfen von wirtschaftspolitischen Reformen abhängig machen. Jedoch hat die bisherige Geschichte der Eurozone und ihrer Krise gezeigt, dass die Bindungswirkung vereinbarter Regeln und Reformen sehr gering ist. Souveräne Staaten können letztlich von keiner übernationalen Institution zu bestimmten politischen Maßnahmen gezwungen werden [siehe Arbeitspapier].
Demgemäß ist der Standpunkt der deutschen Regierung zu begrüßen, ohne Angleichung der Risiken im Bankensektor das Projekt einer europäischen Einlagenversicherung nicht weiter voranzutreiben. Im Falle einer gemeinsamen Einlagensicherung würden nämlich (unabhängig vom ESM) Sparer in Ländern mit relativ niedrigem Bankenpleite-Risiko auch für Banken und Sparer in Ländern mit hohem Risiko haften.
Entsprechend ist die erweiterte Rolle des ESM als Backstop bei Bankenpleiten kritisch zu beurteilen, da die nationalen Bankensektoren immer noch sehr stark von der nationalen Politik abhängen. Zum Beispiel weigert sich wie oben erwähnt die italienische Regierung, den Anteil italienischer Staatsanleihen, die vom italienischen Bankensystem gehalten werden, zu begrenzen. Das damit einhergehende erhöhte Risiko von Bankenpleiten wird somit über den ESM als Backstop auf die Steuerzahler aller anderen Länder übertragen.
Das Prinzip der Einheit von Haftung und Kontrolle würde auch verletzt, wenn sich die EU darauf geeinigt hätte, für das Eurozonen-Budget das Amt eines Eurozonen-Finanzminister zu schaffen, der keine Eingriffsrechte in die nationalen Haushalte hat. Die jetzt gefundene Lösung der Integration eines relativ kleinen Eurozonen-Budgets in das allgemeine EU-Budget scheint nicht mehr als ein symbolisches Zugeständnis an den französischen Präsidenten zu sein.
Der Idee einer europäischen Arbeitslosenversicherung liegt die Vorstellung zu Grunde, dass einzelne Länder zufällig von konjunkturellen Schwankungen getroffen werden und sich die Zahlungen zwischen den Staaten deshalb über die Zeit ausgleichen. Wäre dies der Fall, hätte ein solcher Rückversicherungsfonds tatsächlich eine stabilisierende Wirkung auf die Eurozone. Allerdings ist zu vermuten, dass das Ausmaß der Schwankungen von den strukturellen Bedingungen des Arbeitsmarktes des jeweiligen Landes abhängt und deshalb auch wieder von politischen Entscheidungen auf nationaler Ebene. Ohne eine Angleichung der Arbeitsmarkstrukturen würde das bedeuten, dass auf Dauer Finanztransfers von Ländern mit flexibleren Arbeitsmarkstrukturen zu Ländern mit weniger flexiblen Strukturen erfolgen.
Laut dem Vorschlag von Olaf Scholz sollen die Leistungen zwar nur als Kredite erfolgen und innerhalb von fünf Jahren zurückgezahlt werden. Jedoch ist diese Regelung angesichts der bisherigen Erfahrungen in der Eurozone wenig glaubwürdig: Wäre ein Land nach fünf Jahren immer noch in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, würde man ihm wahrscheinlich weiteren Aufschub gewähren. So wie dies regelmäßig von der EU-Kommission hinsichtlich der EU-Haushaltregeln praktiziert wird.
Jüngstes Beispiel ist der Haushaltsstreit der EU mit Italien, der im Dezember 2018 beigelegt wurde. Die neue italienische Regierung aus Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung hat im Wahlkampf großzügige Versprechungen gemacht (u.a. niedrigeres Renteneintrittsalter), deren Einlösung den italienischen Haushalt stärker belastet, als es nach dem europäischen Fiskalpakt erlaubt wäre. Zwar ist die italienische Regierung auf die EU zugegangen und hat das Haushaltsdefizit von 2,4 % auf 2,04 % reduziert, jedoch wäre dies bei strikter Anwendung der Regeln immer noch nicht ausreichend [5]. Dennoch hat die EU-Kommission auf die Verhängung von Strafgeldern verzichtet, vermutlich aus politischen Gründen (u.a. anstehende Europawahlen).
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die meisten Beschlüsse und Pläne der EU bzw. Eurozone und ihrer Mitglieder auf eine weitere Vergemeinschaftung von Haftungsrisiken ohne glaubwürdige Kontrollmöglichkeiten hinauslaufen. Weiterhin scheint kein Land bereit zu sein, einen für glaubwürdige Kontrollen notwendigen Souveränitätsverzicht hinzunehmen und dazugehörige demokratische Institutionen wie z.B. eine Eurozonen-Parlament zu schaffen. Eine die Risiken reduzierende Angleichung der nationalen Strukturen im Bankensektor und auf dem Arbeitsmarkt liegt noch in weiter Ferne.
Die Beschlüsse und Vorhaben könnten als sinnvoll betrachtet werden, wenn man davon überzeugt ist, dass die politischen Vorteile mögliche wirtschaftliche Nachteile überwiegen. Darüber hinaus wirkt die Funktionserweiterung des ESM vermutlich stabilisierend auf die Finanzmärkte, zumindest solange die Eurozone mit keiner größeren Finanz- oder Wirtschaftskrise konfrontiert wird.
Allerdings sollte man bedenken, dass durch Institutionen, die Haftungsrisiken ohne hinreichende Kontrollmöglichkeiten vergemeinschaften auch Fehlanreize geschaffen werden, die zu einer Verstetigung der unterschiedlichen Lebensstandards im Euroraum führen können.
[1] Berschens, R., Greive, M. & Kröner, A. (05.12. 2018). Das Südeuropa-Risiko – Eine toxische Verbindung. Handelsblatt.
[2] Blum, J., Dudel, A., Kauder, B., Krause, M. & Potrafke, N. (24.01.2019). Reformvorschläge zur Eurozone – eine gemeinsame europäische Arbeitslosenver-sicherung als Lösung? Ifo Schnelldienst, 2/2019, 72. Jahrgang. München: ifo Institut. Abgerufen am 01.02.2019 von http://www.cesifo-group.de/DocDL/sd-2019-02-blum-etal-oekonomenpanel-eurozone-2019-01-24.pdf
[3] Mühlauer, A. (14.12.2018). Staats- und Regierungschefs wollen Reformpaket. Süddeutsche Zeitung. Abgerufen am 01.02.2019 von https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/eurozonenbudget-reformpaket-1.4253402
[4] Greive, M., Hildebrand, J. (16.10.2018). Das sind die Details zu Scholz‘ Plänen für eine europäische Arbeitslosenversicherung. Handelsblatt. Abgerufen am 01.02.2019 von https://www.handelsblatt.com/politik/international/vertrauliches-papier-das-sind-die-details-zu-scholz-plaenen-fuer-eine-europaeische-arbeitslosenversicherung/23192280.html?ticket=ST-2101122-jOY2zNcecRA2P7XfVdhI-ap5
[5] Berschens, R. (19.12.2018). EU-Haushaltswächter verschonen Italien. Handelsblatt. Abgerufen am 01.02.2019 von https://www.handelsblatt.com/politik/international/strafverfahren-vom-tisch-eu-haushaltswaechter-verschonen-italien/23778622.html?ticket=ST-2106385-vqFRWIjbA2xl5dN4U1X3-ap5